Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung

„Menschenfreund“ von Udo Unkel, in der Galerie

der kunstbetrieb am 5.9.2015

 

Unter dem Titel „Menschenfreund“ zeigt Udo Unkel  Skulpturen, Videos und Installationen

aus den letzten Jahren. Doch was zeichnet den Menschenfreund gemessen an dieser Ausstellung aus?

Gleich im Eingangsbereich begegnen uns jüngst entstandene Skulpturen aus Stahl oder Edelstahl, die aufwändig gesandstrahlt, gewachst und poliert werden. Ihre Titel sind: „König, Narr, Bettelman...“ (hier auf dem Wagen), „Gabriel“ und „Ikarus“. Es sind äußerst fragil wirkende Figuren, mit extrem dünnen Körpern, die aus kleinen Stahlteilen zusammengeschweißt sind. Die Oberflächen sind offen, aufgebrochen und von grober Struktur.

Die Gesichter detailiert ausgearbeitet.

Erscheinen die Figuren fragil und sich austarierend, so verweist Udo Unkel mit dem Titel einer dieser Figuren, nämlich „Ikarus“, auf Übermut und Scheitern, und greift auf ein sehr bekanntes Thema aus der griechischen Mythologie zurück: Der Erfinder Dädalus hatte seinen Neffen einen Felsen heruntergestürzt. Zur Strafe wurde er aus Athen verbannt und fand Zuflucht auf der Insel Kreta. Der Verbannung überdrüssig schmiedete Dädalus einen Fluchtplan mit seinem Sohn Ikarus über den Luftweg und baute dazu ein Flügelwerk aus Federn und Wachs. Der Vater beschwor seinen Sohn nicht zu hoch zu fliegen, weil die Flügel schmelzen könnten und nicht zu niedrig über dem Wasser. Doch Ikarus wurde übermütig, flog zu hoch und stürzte durch das Schmelzen des Wachses ins Meer. Ikarus ist ein bekanntes Beispiel dafür, wie Übermut und Leichtsinn zum Scheitern und schließlich zum Tode führen können.

Figuren dieser Arbeitsweise finden sich mehrfach in diesem Raum. So ist im hinteren Teil der „Menschenfreund“ zu sehen, gleichzeitig Ausstellungstitel.
Er begegnet uns beim Spaziergang mit einem Hirschen, der Spaziergänger selbst trägt das Geweih auf dem Kopf. Auch hier sind die Körperformen aufgebrochen, der Hirsch erscheint skelettähnlich auf dünnen Beinen. Während schon das Geweih an den Hirsch als Symbol für Heimat denken läßt, hängt im Hintergrund ein s/w- Foto vergangener Zeit, dass zwei Frauen vor einer Hütte zeigt. Der türkische Spruch bedeutet sinngemäß: Heimat ist dort, wo du satt wirst. Wie aktuell!
Vorbei an einem Skater und an Seefahrern, fällt der Blick auf eine sitzende Figur, unter ihr ein pinkfarbener Ballon. Es ist der „Kapitän“, dessen Materialität mit der Leichtigkeit des Ballons spielt und darum bemüht ist, die Balance zu halten, was zunehmend schwerer wird, wenn dieser an Luft verliert.
Udo Unkel hatte bei seinen Figuren zunächst mit geschlossenen, voluminöseren Körperformen begonnen, wie die älteren Skulpturen im Außenbereich zeigen.
Gerade in den letzten Jahren fand er die aufgelöste Formensprache mit rauher Oberflächenstruktur, gestalterische Mittel, die Zerissenheit und Ambivalenz zum Ausdruck zu bringen.

 

Die Stahlskulpturen mögen an die des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti erinnern, der für seine dünnen langen Schreitenden bekannt ist, die er ab 1946 zunehmend entstehen ließ und damit die „Übermacht des Raumes“ zum Thema machte, wie man sie bisweilen auch hier sehen kann. Während aber Giacometti mit der für ihn typischen, groben Oberflächenstruktur unnahbare, weil unerkennbare Physiognomien schuf, sind die Gesichter und damit die Figuren von Udo Unkel immer erkennbarer und nahbarer geworden. Der Raum wird bei seinen Arbeiten mitunter zu einer imaginären Landschaft, wie zum Beispiel bei den „Seefahrern“ oder dem „Menschenfreund“ beim Spaziergang.

 

Anders als die in Bewegung dargestellten aber sonst unbeweglichen Stahlfiguren, lassen sich die kinetischen Objekte, die so genannten „Monster“ in Bewegung setzen.

So baut Unkel seit 2013 morbid erscheinende Wesen aus Tierknochen, Schädeln, Blechdosen und anderen natürlichen und unnatürlichen Fundstücken, die sich batteriebetrieben durch Hebel und Schalter in Bewegung setzen lassen und mitunter Geräusche von sich geben.
An Spielzeug erinnernd, wecken die „Monster“ auf der einen Seite eine humorvolle kindliche Neugier, auf der anderen aber auch Mitgefühl etwas Grusel und die Assoziation mit dem Tod.
Die archaisch-natürliche Wirkung der Tierschädel und -knochen steht der deutlich sichtbaren technischen Konstruktion und dem elektonischen Antrieb gegenüber.
Neben den kinetischen Objekten zeigt Udo Unkel mit dem „Automat Nr. 2“ symbolisch seinen Blick auf die westliche Welt.
Wie bei den früheren Kaugummi- oder Spielzeugautomaten wirft man hier Geld hinein und bekommt eine durchsichtige Plastikkugel, allerdings weder mit dem Einen noch mit dem Anderen. Die Plastikkugeln enthalten einen Rosenkranz, Schmuck oder einen Dosimeter.
Mit letzterem misst der Käufer, ob er radioaktiv verstrahlt ist. Für Unkel ein Symbol für Krieg, wurden doch infolge des Irakkriegs überhöhte radioaktive Strahlungen gemessen, ebenso wie im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan. Schmuckstück und Rosenkranz stehen hingegen für Luxus und Glauben.

 

Während der Steinmetz, Bildhauer und Objektdesigner mit seiner Videoinstallation „Weltgeld“ - auf den immer abstrakter gewordenen Geldkreislauf verweist, bezieht er sich mit dem Objekt „Mi Balloon Dog“ ganz konkret auf den Kunstmarkt.
So greift er mit dem zerfallenden Hund aus Schweinedarm die Form von Jeff Koons „Balloon Dog“ auf. Dessen orangene hochglanzpolierte Edelstahlplastik war 2013 bei Christie's für 43,6 Millionen Euro versteigert worden. Die quitschende Farbigkeit des Objektkastens verweist auf den Populär- und Kitschfaktor von Koons Arbeiten. Das Aufblähen und Zerfallen der Preise am Kunstmarkt können dem Betrachter bei „Mi Balloon Dog“ in den Sinn kommen.
Auch Aspekte des Träumens und der Sehnsucht sind in der Ausstellung zu finden: So hängt hinter einer der Seefahrer-Figuren ein kleines Objekt mit der Aufschrift „CAPRI“ und abstrahierten Felsformationen im Wasser vor strahlendem Himmel in komplemäntärem Orange und Blau. Die italienische Felseninsel Capri war schon in den 1930er Jahren beliebtes Reiseziel für Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle und Bildungsreisende und entwickelte sich spätestens in den 1960er Jahren zu einem Ziel nicht nur für den deutschen Massentourismus. Und, wer kennt nicht die von Gerhard Winkler 1943 komponierte Sehnsuchtsmelodie „Die Caprifischer“:

 

Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt,
und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt,

zieh'n die Fischer mit ihren Booten auf’s Meer hinaus,

und sie werfen im weiten Bogen die Netze aus. ...

 

Während die Einen von Sonne, Meer oder Capri träumen mögen, schreiben Andere möglicherweise ihre Träume, Ängste und Wünsche auf einen Zettel, den sie dann mit einer „Flaschenpost“ verschicken. Diese „Flaschenpost“ stammt aus dem Rhein und erhielt eine filigranen hohen Stahlständer. Und auch die Farbe Pink, die hier mehrfach in der Ausstellung vorkommt, steht nicht nur für die Träume und Wünsche kleiner Mädchen.

Udo Unkel arbeitet mit Natürlichem und Unnatürlichem, Gefundenem, Wiederwerwertetem und Neuem, mit Beweglichem und Statischem. Dabei wirft er einen detailierten umfassenden Blick auf das Menschsein, dessen Welt und Lebensumfeld. Und so begegnen uns hier zerrissenene Figuren in unterschiedlichen Posen: beim Spazierengehen, beim Skaten, in See stechend, abhebend oder landend, schwankend und nach festem Stand suchend.

Was Unkel daran interessiert, ist, wie er selbst sagt, der Weg der Individuation. Der Psychoanalytiker C.G. Jung schrieb in seinem 1933 erschienenen Buch „Der Individuationsprozess in der analytischen Psychologie“: „Individuation bedeutet: zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte „Individuation“ darum auch als „Verselbstung“ oder als „Selbstverwirklichung“ übersetzen“. Fünf Jahre vorher attestierte er bereits: „Es muss allerdings anerkannt werden, daß man nichts schwerer erträgt als sich selbst.“

Zu diesem Individuations-Prozess mit dem Tod als letzte Grenze, zählen alle Gefühle, positive Annäherungen an das wie auch immer geartete Ziel ebenso wie Fehler, Rückschläge und Wiederholungen, Bewegung und Stillstand, Spiel und Ernst, wie sie hier in der Ausstellung zu finden sind.
Und so wünsche ich Ihnen spannende Ideen, Fragen und gute Gespräche.

 

Simone Rikeit, Kunsthistorikerin M.A.

www.simone-rikeit.de